Gedanken über den ländlichen Musikverein

von Peter Kauth

aus der Chronik des Kreismusikverbandes Bernkastel-Wittlich von 1994

horizontal rule

Musik gehört wie alle Künste, wie die Sprache und die Religion, zum Wesen des Menschen. Sie ist eine der ursprünglichsten Äußerungen. Musikgeschichte ist daher ein Teil Menschheitsgeschichte, der musikgeschichtliche Ablauf im einzelnen ein analoger Prozess der kulturellen und geistigen Entwicklung überhaupt.

Musikstil und Musikgeschmack haben sich mit den Kulturepochen geändert und unterliegen heute neben dem zeitbedingten auch einem generations- und gesellschaftsspezifischen Wandel. Der technische Fortschritt in unserem Jahrhundert ermöglichte eine nie gekannte Ausbreitung der Musik und verursachte ebenso ihre Kommerzialisierung. So gibt es heute Musik in allen gewünschten Geschmacks- und Stilrichtungen auf vielfältigste Art und Weise dargeboten für alle möglichen Gelegenheiten. Die Blasmusik, um die es hier geht, ist nut ein Tupfer auf der Musikpalette.

Wie beim Sport gibt es auch in der Musik, und hier insbesondere in der Blasmusik, Amateure und Profis. Dem Berufsmusiker steht eine fundierte Ausbildung, seine Zeit und eine perfekte Technik für Aufnahme und Wiedergabe zur Verfügung. Von der langwierigen und harten Arbeit im Tonstudio merkt der Zuhörer später nichts; er erwartet und erhält eine spielerische und technische Perfektion.

Der Freizeitmusiker dagegen steht im Alltag in einem Beruf, der mit Musik meist nichts gemein hat; als Maurer, als Landwirt, als Fahrer, als Schreiner, als Schlosser, als Kaufmann, als Anstreicher, kurzum als Arbeiter, Angestellter, Beamter und ... als Lehrling. Erst am Abend bzw. in der Freizeit greifen sie zum Instrument, der eine mehr, der andere weniger, aber sie tun es aus Freude zur Musik, vielleicht aus Freude am schöpferischen Nachvollzug. Ihnen mangelt es manchmal aus verständlichen Gründen an der letzten Perfektion.

Ist nun bei den Zuhörern überhaupt die rechte und ehrliche Kritik gegenüber unseren Hobbymusikern vorhanden? Heute in der Zeit des Rundfunks, des Fernsehens und moderner HiFi-Anlagen stellt man oft ein zu hohes Maß an die Leistungen der Freizeitmusikanten. Der Zuhörer ist anspruchsvoller geworden; zudem ist es gerade heute sehr schwierig, den richtigen Geschmack aller Zuhörer zu treffen.. Immer sollte man jedoch bedenken, dass diese Musikanten ihre Darbietungen stets live und aus Idealismus und Freude an der Musik zu den verschiedensten Anlässen vortragen und damit andere Mitbürger erfreuen wollen.

Viele Zeitgenossen, besonders jüngere, konsumieren in reichlichem Maße Musik ihrer Richtung. Das Musizieren steht bei Jugendlichen an oberster Stelle der Freizeitbeschäftigungen. Zu jeder Gelegenheit gehört Musik dazu, denn es gibt sie in großer Fülle - aber eben nur von anderen! Um so beachtenswerter ist es, wenn jemand sich selbst aktiv der Musik zuwendet und ein Instrument erlernt. In den letzten Jahren hat die Zahl der aktiven Musikfreunde insgesamt zugenommen. Man möchte der Passivität begegnen, man hat ideelle Werte in der Musik entdeckt und empfindet sie als Möglichkeit des persönlichen Ausdrucks. Nicht zuletzt ist diese Ausweitung auf den relativen Wohlstand, die finanziellen Möglichkeiten, die erweitere Freizeit usw. zurückzuführen. Sicherlich spielt auch das Motiv der Selbstverwirklichung eine Rolle, wenn man ein Instrument erlernen will, aber Idealismus ist eine entscheidende Voraussetzung, wenn man das Musizieren auch beibehält und nachhaltig ausübt.

Wer sich zu dem Entschluss durchgerungen hat, ein Instrument zu erlernen, muss ein solches zunächst einmal anschaffen, was finanziell einer längeren Urlaubsreise gleichkommt. Dann muss er eine theoretische und praktische Ausbildung erfahren, was wiederum finanzielle und zeitliche Opferbereitschaft erfordert. Dazu gehört das Erlernen einer Menge technischer Regeln, deren Anwendung und letztlich das Erwerben einer gewissen Fertigkeit durch fleißiges Üben. Vor allem während der Ausbildung ist desöfteren eine gehörige Portion Durchhaltevermögen in schwierigen Phasen des Lernprozesses und die mühevolle Bewältigung von Problemen im instrumentellen Spiel erforderlich: Jedem einzelnen werden ureigene Leistungen abverlangt. Es ist nun mal so, dass man sich das "Können" auf dem Instrument nirgendwo  erkaufen, sondern nur sich selbst erarbeiten kann. Ein recht häufig geäußerter Wunsch vieler Mitbürger ist es, ein Instrument spielen zu können. Aber mangelt es da nicht an der notwendigen persönlichen Energie oder hat diese Energie nicht in der Jugend gefehlt? Musizieren ist ein Hobby, das mit einer ganz besonderen persönlichen Aktivität verknüpft ist, durch das man selbst gefordert und deshalb auch gefördert wird, mit dem man sich künstlerisch weiterentwickeln kann, mit dem man seine Zuhörer erfreuen kann und das nicht zuletzt auch die Allgemeinbildung erweitert. Kurz: Unbestreitbar ist das Musizieren eine überaus sinnvolle Form der Freizeitgestaltung und -betätigung.

Würden da aber heute so viele Mitbürger musizieren, wenn es da nicht die Musikvereine gäbe? In vielen Gemeinden schaffen die Musikvereine überhaupt erst die Voraussetzungen für einen breiteren Personenkreis, ein Instrument zu erlernen und in einer Gemeinschaft zu musizieren. Ungezählte Kinder und Jugendliche haben erst durch die Musikvereine den Weg zur Musik und zur musikalischen Betätigung gefunden. Viele von ihnen haben diesen Weg sogar zu ihrer beruflichen Existenz ausgebaut. Dem Musizierwilligen bieten die Musikvereine einen Platz im Orchester und ermöglichen ihm damit, sein Soloinstrument wirkungsvoll zu einem Ganzen einzusetzen. Der gemeinsame Klang des Gesamtorchesters ist nämlich mehr als die Summe aller Einzelinstrumente! Hier wird die Wechselbeziehung deutlich: Der einzelne ist auf den Verein und der Verein auf den einzelnen angewiesen.

Aber ist der Musikverein nicht mehr  als das Musizieren in organisierter Form? Der Musikverein leistet insbesondere für die Jugendlichen mehr als nur die Ausbildung am Instrument und das Musizieren in der Gruppe. Im Verein erfahren die Jugendlichen -wie auch die Erwachsenen- Gemeinschaft und lernen, sich in eine Gemeinschaft einzuordnen, untereinander Kameradschaft zu pflegen, aufeinander Rücksicht zu nehmen, füreinander Verständnis aufzubringen. Auch ein gewisses Maß an Disziplin, die heutzutage gar nicht mehr selbstverständlich, in einem Musikverein aber unbedingt  erforderlich ist, wird eingeübt. Die Verankerung in einer Gemeinschaft und das Zusammengehörigkeitsgefühl mögen manchem Jugendlichen  einen Halt geben. Die große Zahl Jugendlicher  in den Vereinen ist auch ein Beweis dafür, dass die Jugend heute noch für ideale und geistige Ziele wie Kultur, Tradition und Gemeinschaft zu begeistern ist. Derjenige, der von Jugend auf solche Ideale geübt hat, ist aufs beste gerüstet, auch später in der Gemeinschaft Verantwortung zu übernehmen. Hier wird deutlich, dass die Musikvereine einen wichtigen Beitrag zur Jugendpflege leisten, den Kirche und Schule in den Dörfern heute kaum mehr übernehmen.

Im Freizeitangebot, das in den Dörfern nicht so üppig ausgestaltet ist, zeichnet sich der Musikverein als seriöser Treffpunkt für die Jugend aus. Durch wöchentliche Proben und tägliches Üben zu Hause sind Kinder und Jugendliche viele Stunden in einer nützlichen und sinnvollen Aufgabe gebunden. Öffentliche Auftritte stärken das Selbstbewusstsein. Das Empfinden der Nutzlosigkeit wird vermindert, indem jedem eine bestimmte Rolle zugewiesen wird; im Orchester beispielsweise die 1.Trompeter und im Verein eine Aufgabe bei einer Veranstaltung. Durch das Bemühen um stetige Leistungssteigerung, das in vielen Musikvereine festzustellen ist, wird auch beim einzelnen ein gesunder Ehrgeiz entwickelt und der Leistungswille gefördert.

Gerade im Musikverein verbinden sich jung und alt in einer lebendigen Generationenkette zu einer gemeinsamen Sache. Mit dieser Sache kann man sich identifizieren und stolz auf sie sein. Wie viele Erwartungen, Zustimmung und Stolz werden spürbar, wenn von "meinem" oder von "unserem" Musikverein gesprochen wird. Menschliche Kontakte, deren Mangel heutzutage sooft beklagt wird, sind bei den vielen Stunden des Beisammenseins, ob bei Probe, Auftritt oder geselligem Teil, selbstverständlich.

Aber ist der Musikverein nicht noch mehr als eine soziale Einrichtung für seine Mitglieder? Gerade auf dem Lande kommt den Musikvereinen eine wesentliche kulturelle wie mitmenschliche Rolle gegen die Verflechtungen und Vereinsamungen unserer Zeit zu. Für einen Musikverein ist Musizieren nicht Selbstzweck. Mit seinen Darbietungen will er die Mitmenschen erfreuen, die Geselligkeit fördern, und damit den Lebenswert in ländlicher Gemeinschaft erhöhen. Durch seine Mitwirkung bei vielen Anlässen im weltlichen und kirchlichen Jahr leisten der Musikverein und seine Mitglieder einen ganz wesentlichen Beitrag für eine Verschönerung unseres menschlichen Zusammenlebens. Sicherlich erhalten weltliche und kirchliche Festlichkeiten einen ganz besonderen Glanz durch eine musikalische Umrahmung. Damit der Musikverein diese kulturelle Rolle spielen kann, bedarf es eines erheblichen Engagements aller seiner Mitglieder. Zugunsten ihres Einsatzes für die Allgemeinheit  müssen -vor allem angesichts der zahlreichen Auftritte in den Sommermonaten- bei manchem Musiker andere private Interessen zurückstehen.

Heute in der Zeit der elektronischen Musik soll der Musikverein eine wichtige Volkskultur unseres Landes erhalten und die Volksmusik pflegen und fördern. Das diese bodenständige Musikkultur keineswegs verpönt ist, zeigt die wachsende Beliebtheit der Volksmusik und die große Anzahl von Musikvereinen in der Bundesrepublik Deutschland und nicht zuletzt die überaus große Beteiligung Jugendlicher in den Musikvereinen.

 

Home